Pressemitteilung vom 13.09.2021

Mitten in der Pandemie: Volle Schulen in Altona

Der Trend zu großen Schulen ist ein Irrweg der Hamburger Schulbehörde

Hamburg, 13.09.2021 – In Hamburg dominieren derzeit vor allem Schulkinder zwischen fünf und 14 Jahren das Infektionsgeschehen. [1] Anfang September waren 451Hamburger Schulkinder und 18 Schulbeschäftigte mit Corona infiziert, 2.415 Schülerinnen und Schüler sowie 43 Schulbeschäftigte wurden in vorsorgliche
Quarantäne geschickt. [2]

Gerade für Kinder ist Abstand halten die wichtigste (und meist auch die einzige) Maßnahme, um eine Infektion zu vermeiden. Doch es ist eng in Hamburgs Grundschulen. Beispielsweise im Bezirk Altona an der Max-Brauer-Schule: 2019 gab es hier von der ersten bis zur vierten Klasse jeweils drei Parallelklassen – ursprünglich geplant und gebaut wurde die Schule nur für jeweils zwei. Und damals war der Schultag mittags zu Ende. Seit dem Schuljahr 2020/21 zählt die Schule fünf erste Klassen, in diesem Jahr auch erstmals fünf zweite Klassen. Im Schuljahr 2023/24 werden damit erstmals alle vier Jahrgangsstufen fünfzügig sein. Und inzwischen dauert der Schultag bis 15:30 Uhr oder länger. Heute benötigen schon gut 100 Kinder zusätzlich Platz, 2023/24 werden es an die 200 Kinder sein. Sie alle brauchen Klassenräume, Schulhofanteile, Mensaplätze, Rückzugsorte. Und selbstverständlich Raum, um den fordernden Schulalltag in Zeiten von Inklusion, Ganztag und Pandemie zu meistern – und vor allem Abstand halten zu können. Doch dieser Raum fehlt, die Schulen sind zu eng und viel zu voll.

Weniger Fläche – noch mehr Kinder

„Ist es der Politik egal, welche Auswirkungen die stark anwachsende Kinderzahl an den Schulen im gelebten Alltag hat? Die sogenannten ‚ungenutzten’ Flächen in den Schulen sind meist schon mehrfach vergeben. Erst werden sie im Zuge der Ganztagseinführung dringend benötigte Räume für Rückzug, Förder- und Freizeitangebote. Dann gibt es eine neue Parallelklasse und der Raum wird zum Klassenzimmer, um noch mehr Kinder auf noch weniger Fläche unterzubringen. Gute Schulplanung wird dann zur Quadratur des Kreises und die Baukosten werden durch das ständige Hin und Her auch unnötig in die Höhe getrieben. Dabei wäre es möglich, mit diesem Geld gute und langfristig funktionierende Lern- und Lebensräume für Kinder zu schaffen“, sagt Cordula Henning, Mitglied des Elternrats der Max Brauer Schule sowie der Elterninitiative „Das muss anders gehen“.

Corona verschärft Platznot an den Hamburger Schulen

Auch ohne Corona wäre der Platz an vielen Hamburger Grundschulen zu knapp. Dazu kommen jetzt noch die Herausforderungen durch die Pandemie. Deshalb fordert die Elterninitiative „Das muss anders gehen“ die Schulbehörde immer noch nachdrücklich auf, möglichst viele neue Schulen zu bauen. Gute Bildung und gesunde Entwicklung brauchen Platz, Kinder benötigen Raum zum Lernen. Durch Inklusion und Ganztag ist der Schulalltag
heute ein ganz anderer als noch vor 15 oder 20 Jahren. Und paradoxerweise gab es zu dieser Zeit, als bereits zur Mittagszeit Schulschluss war, noch sehr viel mehr Platz an den Schulen. Würden Kinder den Raum zugestanden bekommen, den sie benötigen, wäre es gerade jetzt sehr viel leichter die Kinder im Präsenzunterricht vor einer Infektion zu schützen.

Altonaer Kerngebiet: doch lieber Gewerbe

Dabei gab die Schulbehörde im März 2018 noch ein positives Signal, was die Planung für das stark verdichtete Altonaer Kerngebiet betrifft. Drei neue Grundschulen sollten errichtet werden. [3] Schon wenige Monate später war nur noch von zwei neuen Schulen die Rede. Doch dafür wurden noch nicht mal die Voraussetzungen geschaffen. Stattdessen setzt Schulsenator Thies Rabe weiterhin auf Verdichtung und erhöht die Schüler*innenzahlen an
den bereits bestehenden Grundschulen noch weiter.

Alle Altonaer Fraktionen sprachen sich dafür aus, statt einer Verdichtung der MBS lieber eine neue Grundschule auf einem nahegelegenem geeigneten städtischen Grundstück an der Gasstraße zu bauen und diesen Standort zu prüfen. [4] Dafür setzten sich auch Kinder und Eltern der Max-Brauer-Schule ein. 2018 und 2019 organisierten sie regelmäßig Demonstrationen.

Doch das Grundstück an der Gasstraße hat die Stadt Hamburg jetzt endgültig an die beiden Immobilienentwickler Hamburg Team und Harmonia Immobilien verkauft, die an dieser Stelle ein 40.000 Quadratmeter großes Bürogebäude bauen werden. [5]

Bahrenfeld hält Negativrekord: größter Leerstand von Gewerbeimmobilien

Die Elterninitiative der MBS kritisiert diese Entscheidung der Stadt. Denn das die MBS umgebende innerstädtische Bahrenfeld ist bereits hoch verdichtet mit den bekannten Defiziten an Grün- und Freiräumen, Sport- und Aufenthaltsflächen sowie sozialer Infrastruktur. Und: Bahrenfeld hält seit langem den Hamburger Negativrekord und verzeichnet den größten Anteil an Büroleerstand (13,4 Prozent Leerstand, insgesamt rund 64.000 m²) im ersten Halbjahr 2021. [6] Augenscheinlich wird dies auch an der neuen Baustelle Gasstraße/Ecke Daimlerstraße: Gerade mal 100 Meter entfernt wird seit mehr als einem Jahr für 9.000 Quadratmeter Gewerbefläche händeringend eine Mieterin gesucht.

Abbildung: 9.000m² Büroleerstand in der Gasstraße

Schon seit 2012: Altonaer Schulen massiv verdichtet

Zwischen 2011 und 2018 sind in Altona rund 12.000 Wohnungen genehmigt worden. Laut Altonaer Wohnungsbauprogramm 2020 werden ausgehend von 2011 bis 2025 ca. 43.000 Menschen zusätzlich in Neubaugebieten leben. [7] Die Hamburger Schulbehörde schätzt, dass es dadurch mittel- bis langfristig 40 Prozent Kinder mehr sein werden, die in Altona einen Grundschulplatz benötigen. 8 Der Trend ist bereits seit einigen Jahren zu spüren. Die 12 Grundschulen in der Schulregion 4 umfassten zwischen 2012 und 2019 bereits durchschnittlich 40 Prozent mehr Grundschüler/-innen – bei gleichbleibender oder kleinerer Schulhoffläche. Das Schülerinnenwachstum wird durch die Aufgabe von Differenzierungs- räumen und den Ausbau „untergenutzer“ Räumlichkeiten ermöglicht. Den Kindern sowie den Lehrpersonal steht faktisch deutlich weniger Raum zur Verfügung. Mit drastischen Folgen: Im Jahr 2024 werden durchschnittlich 80 (!) Prozent mehr Grundschülerinnen die bestehenden 12 Grundschulen in der Schulregion 4 besuchen als noch 2012. [9]

Die traurige Realität: Kinder im Container

Kinder fallen nicht vom Hamburger Himmel – bereits seit vielen Jahren verzeichnet Hamburg Geburtenrekorde. [10] Schon jetzt müssen viele Kinder ihre gesamte Grundschulzeit in provisorisch aufgestellten Containern verbringen. Durch eine vorausschauende Schulentwicklungsplanung hätte das vermieden werden können.

Kinder brauchen Platz – nicht nur in Zeiten einer Pandemie

Die Bezirksversammlung Altona hat die Hamburger Schulbehörde aufgefordert, aus der Pandemie zu lernen und den Schulbau neu zu denken. Es brauche mehr Fläche in Klassenräumen, Schulgebäuden und auf Schulhöfen. Nur dann könne Ganztagsschule und Inklusion gelingen – und darüber hinaus können dann bei Bedarf auch Hygienekonzepte umgesetzt werden. Denn auch wenn diese Pandemie überstanden sei, könne eine weitere
folgen. [11]

„Das muss anders gehen“: Die Errichtung weiterer Schulen im Altonaer Kerngebiet ist eine absolute Notwendigkeit, um eine kindgerechte Schulentwicklungspolitik sicherzustellen – nicht nur in Zeiten einer Pandemie.

Pressemitteilung als PDF

Quellen:

[1] www.ndr.de/nachrichten/info/Corona-Zahlen-fuer-Landkreise-Hohe-Inzidenz-nach-
Schulferien,altersinzidenz100.html

[2] Newsletter der Behörde für Bildung vom 03.09.2021:
www.bsb-hamburg.de/index.php?id=441#c7103

[3] www.hamburg.de/bsb/pressemitteilungen/10773746/2018-03-27-bsb-schulplanung/

[4] Stellungnahme der Bezirksversammlung Altona zum Schulentwicklungsplan vom 29.08.2019:
bv-hh.de/altona/documents/stellungnahme-zum-referentenentwurf-des-schulentwicklungsplan-2019-
antrag-der-fraktionen-von-gruene-spd-cdu-die-linke-und-fdp-6682

[5] pr-journal.de/nachrichten/agenturen/27199-umzug-neue-fischerappelt-zentrale-wird-
leuchtturmprojekt-fuer-science-city-hamburg.html

[6] www.grossmann-berger.de/datei.php?datei3=Marktbericht_B%C3%BCro_Q2_2021_web.pdf

[7] Neubauvolumen zwischen 2011 und 2025 24.000 neue Wohnungen X Durchschnittliche
Haushaltsgröße in Hamburg 1,8 Personen pro Haushalt = 43.200 neue Einwohner/-innen) à
Wohnungsbauprogramm Altona 2020: www.hamburg.de/contentblob/11586844/03a714cf732af04351ac89aff9d28acf/data/download-
wohnungsbauprogramm-2020.pdf

[8] https://sitzungsdienst-
altona.hamburg.de/bi/___tmp/tmp/45081036/6Ra7GU4vIMoxhrMJmQZK5faL9LClOTTDOgXCFvcl/WZ
tHFmdML/26-Anlagen/01/StellungnahmeBSB.pdf

[9] Statistiken der BSB abrufbar auf: www.hamburg.de/bsb/as-schulstatistik/ – eine Zusammenfassung
siehe unter: dasmussandersgehen.de/2019/06/verdichtungsfakten/

[10] de.statista.com/statistik/daten/studie/588906/umfrage/anzahl-der-geburten-in-hamburg/

[11] https://bv-hh.de/altona/documents/schulbau-jetzt-neu-denken-dringlicher-antrag-der-fraktionen-von-
fdp-gruene-und-cdu-neufassung-37069